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Pummerin
Das Symbol für den Frieden und Wiederaufbau in Österreich.

Der 26. April 1952 war ein Samstag. "Wien im Banne der Dom-Eröffnung", schrieb eine Zeitung in Jubellaune. Die Reporter haben die Grundstimmung dieser Tage goldrichtig eingefangen: Eine halbe Million Menschen wird es wohl sein, die entlang der Straße von der Glockengießerei im oberösterreichischen Sankt Florian bis Wien gespannt auf diesen Augenblick wartet: Wann endlich zieht der Konvoi mit der neuen "Pummerin" vorbei?
Die Begeisterung schnellt in die Höhe, als dann die berühmte Glocke die letzten Kilometer vom Westbahnhof über die Mariahilfer Straße zum Stephansplatz macht: Hüte werden geschwenkt, Fähnchen, Taschentücher. Ein Triumphzug sondergleichen.
Identitätssymbol
Und das alles wegen einer Glocke? "Die Pummerin hat 1952 die Herzen der Österreicher aller Bundesländer ergriffen." Dompfarrer Anton Faber, ein Vertreter der jungen Priestergeneration, spricht von ihr auch 50 Jahre danach als "Identitätssymbol". Sie war ein "Zeichen, dass es wieder aufwärts geht". Denn das, was da rundherum geschah, habe man kaum Frieden nennen können. "Leute wurden entführt, verhaftet", Plünderungen, Vergewaltigungen, "Morde am laufenden Band", überall Häuserruinen.
Nur halb renoviert auch der Stephansdom. In der Nacht auf den 12. April 1945, in den letzten Atemzügen des Zweiten Weltkriegs, war das Unglück passiert. Der hölzerne Dachstuhl des Stephansdoms hatte zu brennen begonnen. Rettendes Wasser hatte es nicht gegeben, also breiteten sich die Flammen ungehindert aus.
Der Dom und die alte Pummerin, die 1683 aus den Kanonen der Türkenbelagerung gegossen worden war, wurden Opfer. Mitsamt dem Glockenstuhl war die Glocke hinabgestürzt und zerschellt. Damals versprach Kardinal Theodor Innitzer: "Der Dom ist zwar zerstört, die Pummerin in tausend Stücke zersplittert. Aber wir werden ihn wieder aufbauen."
Und tatsächlich: Wenige Monate nach Kriegsende schon beginnt man damit. Die Österreicher, selbst verarmt und besitzlos, geben, was sie nur können: Arbeitskraft und Spenden. Fünf Schilling reichen für einen glasierten Dachziegel. Unter den Schülern und Gymnasiasten entsteht "eine Art Wettbewerb, wer mehr von seinem Taschengeld gespendet hat, um einen oder mehrere Dachziegel zu kaufen", erinnert sich Chorherr.
Jedes Bundesland trägt sein Scherflein für Österreichs Nationalkirche bei: Die Glasfenster, das Gestühl, der Marmorboden. Oberösterreich will die "Pummerin" schenken, neu gegossen aus den Trümmern der alten. In St. Florian hat man eigens eine Gießgrube und einen Ofen dafür errichtet. Im Oktober 1950 sollte es so weit sein. Der schon damals legendäre oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleißner und Kardinal Innitzer reisen an. Die ganze Nacht lang war die sogenannte Glockenspeise auf 1100 Grad aufgeheizt worden.
Doch es sollte nicht sein. Der Lehm-Mantel der Glocke hält dem Druck nicht stand. Er bricht auf. 15 Tonnen Bronze fließen aus und stecken die Holz-Pfosten der Zuschauertribüne in Brand. Für die Österreicher keine gute Nachricht; so mancher munkelt da von einem bösen Omen.

Kardinal Innitzer


Der 2. Versuch gelang
In St. Florian aber beginnen die Arbeiten von neuem. Diesmal werden Stahl und Beton verwendet, um den Mantel zu stärken. Am 5. November 1951 kommen Innitzer und Gleißner erneut. Und beim zweiten Anlauf gelingt's. 21.383 Kilo wiegt die neue 2,94 Meter hohe und 3,14 Meter breite Pummerin. Gleich in der Gießerei wird sie vom Kardinal zum ersten Mal zaghaft angeschlagen.
Danach beginnt sie per Tieflader auf ihren Triumphzug nach Wien quer durchs geteilte und besetzte Österreich. Ob Oberösterreich, Niederösterreich oder Wien: Die Menschen stehen geduldig Spalier, um die vorbeirollende schwere Zugmaschine mit der geschmückten Pummerin zu sehen. Was heißt, zu sehen! Sie jubeln ihr Glück hinaus, endlich auch einmal ein greifbares Zeichen ihres neuen Lebens in Freiheit sehen zu können. Ganz ohne Identitätskarte rollt der Konvoi zwischen der amerikanischen Besatzungszone über die Enns-Brücke in die sowjetische Zone Österreichs. Auch die amerikanischen und sowjetischen Zonen-Wachen salutieren, ohne eigentlich zu begreifen, was den Österreichern diese Glocke ist.
Am 26. April 1952, um 16 Uhr langt der Konvoi endlich auf dem Stephansplatz an. Sämtliche Wiener Glocken begrüßen ihre größte und geschichtsträchtigste Schwester. Kardinal Innitzer weiht die Pummerin und salbt sie mit Chrisam. "Riesig groß, glänzend, goldbronzen war sie", beschreibt Pastoralamtsleiter Franz Merschl.
An dem Tag erklingt sie zum zweiten Mal. Sie ist notgedrungen auf einem fünf Meter hohen Gerüst neben dem Dom aufgehängt. Denn der Nordturm, der sie aufnehmen wird, ist noch lange nicht fertig.

Bundeskanzler Figl


Als am Tag darauf Kardinal Innitzer im Dom ein Pontifikalamt feiert, ertönt die Pummerin zum dritten Mal. Im Albertinischen Chor haben die Ehrengäste Platz gefunden: Bundespräsident Theodor Körner, Nationalratspräsident Leopold Kunschak, Bundeskanzler Leopold Figl, die Minister, Vertreter der Alliierten Mächte und des Diplomatischen Corps. Das gotische Langhaus zu Sankt Stephan ist buchstäblich "gesteckt voll" mit dankbaren Österreichern. Viele von ihnen sehen zum erstenmal bei dieser Gelegenheit die Wiederaufbauleistung im Dom. Draußen vor dem Heidentor Zehntausende Kopf an Kopf, daheim an den Radioapparaten Hunderttausende. "Schon hallt der erste Schlag der Glocke dröhnend durch die atemlose Stille", berichtet "Die Presse" auf ihrer Seite 3, "sechs Arbeiter aus St. Florian ziehen mit aller Kraft an dem Seil, um den Klöppel in Bewegung zu setzen. 50 Schläge - dann ist wieder Stille - und nun antwortet in vielstimmigem Akkord ein anderes Läuten: das der Glocken von St. Peter in Rom." Das Radio machte es möglich.
Wieso diese Begeisterung für eine Glocke? Merschl erklärt: "Es ist die Ähnlichkeit des Schicksals". Auch die Glocke wurde "zerstört und hat nicht aufgegeben": Mühsam wiederaufgebaut, Rückschläge wie das Ausfließen der Glockenspeise und der Beginn von neuem, bis sie dann in Glanz erstrahlte. Die Inschrift der Pummerin "Geborsten bin ich in der Glut des Brandes. Ich stürzte aus dem verwüsteten Turm, als die Stadt unter Krieg und Ängsten seufzte. 1945" soll an das gemeinsame Schicksal erinnern.
Und wie! Nicht alle, die da standen und sich freuten, waren fromm im herkömmlichen Sinn. Im Gegenteil: Tausende waren in den Jahren davor der Vergötzung Adolf Hitlers erlegen und aus der Gemeinschaft der Christen ausgetreten. Aber sie hatten in den schlimmen Kriegsjahren genauso schwer gebüßt wie ihre Mitbürger. In diesen Apriltagen des Jahres 1952 durften sie erstmals wieder jubeln. Das war durchaus auch eine politische Manifestation. Von einer österreichischen Nation war noch lange keine Rede, aber eine Art eigenständiges Nationalbewußtsein war im Entstehen. Und diese Glocke trug dazu bei.
Wenigstens ein paar Tage lang konnten die Wiener vergessen, dass die letzte derart große Massenkundgebung 1938 auf dem Heldenplatz stattgefunden hatte. Konnten vergessen, dass ihr erster Bundespräsident, Karl Renner, damals den Anschluss ans Deutsche Reich mit einem ebenso "freudigen Ja" begrüßt hatte wie ihr verehrungswürdiger Oberhirte Innitzer.
Und sie durften wieder hoffen. Noch lag der Staatsvertrag in weiter Ferne. Aber mit dem Läuten dieser erzenen "Stimme Österreichs" war jene ersehnte Freiheit ein Stückchen näher gerückt, die heute als selbstverständlich mindergeachtet wird.

(diePresse)

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